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Glosse Nr.35 / 10. Juni 2009

Der Fluch guter Ideen

Zu den grössten Katastrophen die ich als Erwerbstätiger erleben musste gehörten die sogenannten "guten Ideen". Sie werden irgendwo im Mittelfeld geboren. Dann schnappt sie sich ein Vorgesetzter, der das Profilierungspotential der Idee erkannt hat, ohne sie genau verstanden zu haben. Er geht damit wie ein Kater im Paarungstrieb in der Plüschetage hausieren.

Dort findet jemand die Idee gut, mag aber den Gedanken nicht dass damit Aufwand und Arbeit verbunden sind. Rasch überträgt man die lästige Realisierung anerkennend und lobend dem Überbringer. Der hofft nun, dass er sich jetzt als Beweger und Innovatierer hervortun kann. Das soll ihm jene Meriten bringen, die ihm in schreiendem Unrecht schon viel zu lange vorenthalten wurden. Der Karrieresprung zwinkert ihm bereits lüstern zu.

Er hat keine Ahnung was sich die Kohleschipper, Deckschrubber und Wasserträger an der Basis dabei dachten als sie die Idee auskochten. Ignorant setzt er daher die ganze gute Idee schliesslich deftig praxisfremd um. Am Ende sieht sie hübsch aus, funktioniert aber niemals richtig und verbessert schon gar nichts. Das ist indes irrelevant. Die Plüschetage, die den Segen dazu gab, kennt die Abläufe sowieso nicht genau und nimmt den Fehlschlag ergo kaum wahr.

Was bleibt sind die Leute an der Basis die sich mit einer verknorzten Neuerung rumschlagen müssen, oder der Endabnehmer der länger wartet oder/und schlechtere Qualität geliefert bekommt, und einer der Ruhm für diese Innovation mit lobender Erwähnung seines Genius in der Personalakte abschöpft. Varianten des unheilvollen Vorganges habe ich in den letzten 23 Jahren einige beobachten dürfen - in Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt in der realen Welt.

Das Paradebeispiel erlebte ich, als einmal jemand in meiner Abteilung sagte dass neue Bürostühle eine gute Idee wären. Die alten Stühle bildeten ein Sammelsurium welches geeignet war die Evolution des Bürostuhls in der zweiten Hälfte des 20.Jh zu illustrieren. Eine übergeordnete Dame hatte (in den ca 50 Sekunden die sie an unserem Fotokopierer verbrachte) die Äusserung erhascht, und sie ohne Rücksprache mit der Abteilung nach oben getragen.

Sie wusste auch gleich wo neue Stühle herzukriegen waren. Ihr Schwager konnte welche anbieten. Ob der onimöse Herr speziell mit Bürostühlen handelte oder einen Gemischtwarenladen hatte sickerte indes nicht durch. Aber solche Aufträge sind ja bei der Verwandtschaft am besten aufgehoben. Fünf Wochen später waren an einem Mittwochmorgen alle alten Stühle weg. Dafür standen an jedem Arbeitspult die neuen Sitzgelegenheiten in Bordeauxrot und Braun.

Es war eine Ostereieraktion. Niemand in der Abteilung wurde davon vorher in Kenntnis gesetzt. Dafür kam um 08.42 Uhr eine Chefdelegation zum Augenschein vorbei. Sie liess den Gesamteindruck der neuen Stühle auf sich wirken, und erwartete vom Fussvolk nun verbindlich gesteigerte Motivation. Die Initiantin wurde mit anerkennendem Nicken gelobt. Wären die Damen und Herren etwas länger geblieben, hätten sie vielleicht noch etwas anderes mitbekommen.

Die Tischplatten der Pulte hatten unter der Arbeitsfläche jeweils eine Schublade für das Arbeitsmaterial. Die neuen Stühle waren wiederum ein klein wenig höher als die alten und hatten anders geartete Sitzpolster. Diese beiden Faktoren bewirkten, dass man neuerdings zwischen Sitzfläche und Pultschublade gerade noch eine Handbreit Luft hatte, aber keine Oberschenkelbreite. Da die meisten Leute aber nicht auf ihren Händen sassen, war die Krise da.

Man konnte sich mit den neuen Stühlen nicht mehr ans Pult setzen. Es wirkt negativ auf die Arbeitsleistung wenn die Arbeiter nicht an die Arbeitsplätze kommen. Doch noch schlimmer wäre es gewesen die Neuerung zurückzunehmen. Man hätte den zutreffenden Eindruck erweckt, vor dem Handeln nicht nachgedacht zu haben. Das war zwar offensichtlich, aber zugegeben durfte es nicht werden. Dies hätte die inexistente Kompetenz gefährlich untergraben.

Man ordnete stattdessen die Entfernung der Schubladen an. Nun mussten wir unser Arbeitsmaterial aus den Schubladen wild im ganzen Arbeitsraum verteilen. Von Stund an wurde viel Zeit damit vertan, bei jedem Auftrag die Sachen hinter Archivkästen, Fotokopierer und Kaffeemaschine zusammenzusuchen. Dinge die notabene früher mit einem Handgriff in die Schublade verfügbar waren. Dafür hatten wir rotbraune Stühle. Jetzt wissen Sie wieso ich gute Ideen fürchte.

engel

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