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Glosse Nr.16 / 19. Dezember 2004

Von der Gnade des Todes

Wie einst der leibliche Tod zu Franz von Assisi als Erlöser kam, so kam er auch zu Gusteli. Naja, im Prinzip vermute ich dass es umgekehrt war. Egal welche Vorstellung man von Jenseits haben mag, alles war für ihn besser als weiter auf Erden wandeln zu müssen. Seit er einen schmerzhaften Tumor hatte, war es mit dem Wandeln eigentlich nicht mehr so weit her.

Zum Tumor gesellte die Tatsache, dass Gusteli vor einigen Jahren schon sein Augenlicht verloren hatte, von anderen Gebrechen die in seinem fortgeschrittenen Alter üblich sind ganz zu schweigen. Dennoch konnte man ihm zuweilen beim Promenieren zwischen Wasserturm und Klosterfiechten auf dem Bruderholz begegnen, am Ende sogar noch mit Tumor.

Der Tierarzt hatte Gustelis Frauchen schon längst geraten, dem kränkelnden Tier den Gnadentod zu geben. Allein die alte Dame mochte sich nicht von ihrem Dackel trennen, so war dieser zu langsamem Siechtum verurteilt. Gusteli war nach Frauchens Gatte benannt, der da Gustav hiess und ehemals zu den ersten Grenadieren im Aktivdienst zählte.

Der stählerene Gustav wurde auf seine alten Tage von der Gattin dazu verdonnert, lang und ausgiebig mit dem vierbeinigen Gusteli spazieren zu gehen. Frauchen scherzte gerne über ihre beiden Gustave, von denen allerdings der der früher Grenadier war den der nach Hund roch nicht so recht riechen mochte. Er trug vieles um des liebem Friedens Willen mit stiller Gleichmut.

Als der Gustav mit Jahrgang 1915 verblich, schmiss ihm seine Witwe in die kühle Grube den Vorwurf auf den Sargdeckel, dass er dies ausgerechnet vor den so geschäftigen Feiertagen im Dezember tat. Von diesem Moment an gehörte ihre volle Aufmerksamkeit dem Gustav der ihr noch geblieben war. So erlebte Gusteli die Metamorphose vom Dackel zum Adoptivkind.

Zog sie einst bei ihren leiblichen Kindern flink Hosenboden stramm und verteilte Backpflaumen für nichtige Vergehen, galten für Gusteli andere Masstäbe. Ungehorsam wurde mit langen Vorträgen an die Adresse des Hundes geahndet. Das Schlimmste aber was er befürchten musste, war die sehr temporäre Streichung der täglichen Süssigkeiten.

Hatten die eigenen Kinder einst einen Feiertag wenn es dürre Apfelschnitze gab, wurde Gusteli jeden Tag mit Dingen gemästet in denen Vitamine Störfaktoren waren. Beim Kaffee am späten Nachmittag war alles möglich - Totenbeinli, Willisauer Ringli, nicht einmal vor Basler Läckerli wurde zurückgeschreckt. Und so bekam Gusteli Übergewicht.

Fehlernährt verbrachte er den grössten Teil des Tages in einer Wohnung die derart überheizt war, dass man hätte Lebkuchen auf dem Wohnzimmertisch backen können. Blind wackelte Gusteli so durch sein elendes Leben. Wenn Frauchen ihn auf den Arm nahm weil seine Beine nicht mehr wollten, winselte er da ihm das Tragen auf den Tumor drückte.

Frauchen wusste um all diese grämlichen Dinge, und vertraute nach eigener Aussage in dieser Sache auf den Herrgott. Offenbar war aber der Allmächtige anderweitig beschäftig, so dass Gusteli schliesslich die Sache selbst in die Hand nahm - was ich jedenfalls vermute. Es geschah auf dem letzten Spaziergang entlang einer Verkehrsader.

Als Gusteli das kraftvolle Brummen eines schweren Motorfahrzeugs vernahm, überwand er allen Schmerz um sich ruckartig mitsamt Leine von Frauchens Griff zu lösen, und das erlösende Ende unter den Rädern eines Autos zu suchen. Er fand seinen Frieden bevor der Chauffeur merkte was er da überfahren hatte. Wehklagend verwarf Frauchen die Hände über der Leiche.

Der Leichnam von Gusteli zwo sollte übrigens nach Frauchens Willen fachkundig ausgestopft werden. Anders als bei ihrem verblichenen Gatten warf sie Gusteli zwo sein Ableben nicht vor. Dafür musste der stählerne Gustav auch nicht als konservierte Leiche mit Glasaugen im Wohnzimmer stehen bis ihn die Motten fressen.

engel

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