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Die Prostitution in Basel nach der Reformation



Frau G. / 17. November 2013:

Gerade gehen die Wogen wegen der Prostitution hoch. Alice Schwarzer in Deutschland und die Regierung in Frankreich wollen sie verbieten. Ich hörte, dass man sie auch hier bei uns abschaffen will. Sie haben einen sehr informativen Beitrag über die Prostitution im Mittelalter auf Ihrer Homepage. Mich würde interessieren, wie sich die Dinge entwickelten nachdem die Prostitution nach der Reformation verboten wurde in Basel. Hat das irgend eine Art der Verbesserung gebracht?

Antwort von altbasel.ch:

Duldung der Prostitution im Mittelalter

Das Ringen um die Prostitution ist uralt. Bereits der Heilige Aurelius Augustinus (354-430) habe für sie gesprochen. Nicht als ihr Freund. Vielmehr jedoch im Sinne eines Zugeständnisses an die Realitäten. Konkret habe er prophezeit, dass die Hurerei eine ganze Gesellschaft durchdringen werde, entferne man die Dirnen aus der selbigen. Er verglich die Prostituierten wenig subtil mit Abwasserröhren eines Schlosses. Reisse man diese raus, stinke irgendwann das gesamte Anwesen.

Im mittelalterlichen Basel kam der von der Obrigkeit geduldeten und regulierten Prostitution eine Ventilfunktion zu, wie sie Augustinus ansprach. Oft waren es Frauen die aus einer gewissen Not heraus ihr Brot in diesem Gewerbe verdienten. Sie litten ihrer Tätigkeit wegen unter Stigmatisierung und Ausgrenzung, genossen jedoch einen gewissen gesetzlichen Schutz. So ist bereits 1384 eine Art garantierter Mindestlohn für die Basler Prostituierten belegt.

Es wurde damals festgehalten, dass die Zuhälter (die so genannten Frauenwirte) den Dirnen nicht mehr als den dritten Pfenning nehmen durften. Damit war immerhin auf dem Papier garantiert, dass die Prostituierten in den staatlich beaufsichtigen Frauenhäusern (Bordellen) zwei Drittel ihres Lohnes behalten durften. Zuhältern die dagegen verstiessen, drohten drei Jahre Verbannung aus der Stadt. Der gesetzliche Schutz der Prostituierten endete mit der Reformation.

Verbot und Bestrafung der Prostitution in Basel

Nach der Reformation in Basel 1529 wurden die Frauenhäuser schrittweise geschlossen, und die Prostitution schliesslich unter Strafe gestellt. Die an die Macht gelangten reformierten Ideale verurteilten die Dirnen und die Prostitution als unmoralisch und beriefen sich dabei auf die Bibel. Das Ziel der Bestrebungen war die Errichtung einer frommen Gesellschaft, in der Sexualität exklusiv innerhalb der Ehe zum Zwecke der Fortpflanzung praktiziert wurde.

Dieses Vorhaben erwies sich als illusorisch, denn die aussereheliche Sexualität existierte fort, und ebenso die Prostitution. Hierbei ist anzumerken, dass schon die erlaubte Postitution des Mittelalters primär dem Manne diente. Von der Frau wurde schon früher jene Enthaltsamkeit erwartet, die man mit der Reformation auch dem Mann auferlegte. Das Verbot vermochte den Geschlechtsdrang der Herren nicht zu dämpfen; und wo eine Nachfrage ist, gibt es auch einen Markt.

So lebte die Prostitution in der Illegalität fort. Die Frauen in diesem Gewerbe waren nun nicht nur von gesellschaftlicher Ächtung betroffen, sondern wurden auch vom Gesetz verfolgt, welches ihnen früher einen gewissen Schutz garantiert hatte. Ein abscheuliches Bild der neuen Verhältnisse ist für 13. Januar 1631 belegt. Eine Dirne die mit vielen Ehemännern Verkehr hatte, wurde an einem Seil zweimal im eiskalten Rhein geschwemmt und danach aus der Stadt gejagt.

So lange sie nicht auffiel, existierte die Prostitution halbwegs geduldet im Schatten. Trat ein Fall jedoch zu klar ans Licht, wurden Exempel statuiert. Auf Prostitution und Zuhälterei standen harte Strafen. Oft wurden ertappte Dirnen öffentlich erniedrigt und aus der Stadt verbannt. Für Zuhälterei drohten schwere Strafen. So im Falle von Lukas Dickenmanns Gattin, die im April 1771 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, da sie einer Dirne Unterschlupf gewährt habe.

Ein Beispiel der Bestrafung von Prostitution und Zuhälterei ist aus dem März 1756 überliefert. Zwei Frauen wurden zu St.Leonhard durch Pfarrer Andreas Zwinger (1697-1764) öffentlich vor der Kirchgemeinde wegen "schändlichem Hurenleben" und Kuppelei angeprangert. Es handelte sich um die "Brunnerin", eine Tochter des drei Jahre zuvor verstorbenen Scharfrichters, und Elisabeth Scherbin. Das rituelle Vorführen vor der Gemeinde sollte abschreckend wirken.

Die eigentliche Strafe für die beiden unglücklichen Frauen bestand in lebenslanger Haft im Zuchthaus, mit Ketten an schwere Kugeln geschmiedet, die ihnen eine Flucht verunmöglichen sollten. Sie sollten für ihr "Lebtag" nur noch Wasser und Brot zu sich nehmen, und ein Jahr lang zusätzlich jeden Sonntag in ihren Ketten durch die ganze Stadt vor den Augen der Bevölkerung nach St.Theodor geführt werden. Das Leben in der verdrängten Prostitution war eine Existenz in Furcht.

Unterdrückte Prostitution im 19. Jahrhundert

Das Polizeistrafgesetz von 1872 illustriert das im 19. Jahrhundert noch immer aufrecht gehaltene Verbot der Prostitution in Basel. Konkret drohten demnach für gewerbemässige "Unzucht" Abschiebung aus dem Kanton oder drei Tage Haft. Hier trifft man nicht auf die barbarische Härte früherer Strafen. Aber für eine Frau die ihre karge Existenz anstatt mit Bettelei oder Diebstählen mit Prostitution bestritt, iwar eine Verbannung aus der Stadt existenzbedrohend.

Eine spätere Richtlinie sah vor, dass erkannte Prostituierte beim ersten Mal verhaftet und zwei Tage in Haft genommen wird. Im Wiederholungsfall sollte sie drei Tage nach Verbüssung der Haftstrafe in ihre Heimatgemeinde oder ins Ausland abgeschoben werden. Sollte sie ein drittes Mal bei der Ausübung der Prositution ertappt werden, dann erfolgte eine Verzeigung an das Polizeigericht. War sie schon mehrfach aus selbem Grund vorbestraft, kam sie in eine Arbeitsanstalt.

Bemerkenswert ist hierzu, dass in anderen Schweizer Städten wie Zürich, Genf oder Bern die Prostitution zugelassen war. Sie fand in staatlich kontrollierten Bordellen statt, wo die Dirnen behördlich erfasst und ärztlich beaufsichtigt ihrem Gewerbe nachgehen konnten, ausgegrenzt aber gesetzlich geschützt. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts hin, erreichten moralisch und sittlich motivierte Kreise, dass die Prostitution auch in diesen Städten verboten wurde, wie in Basel.

Moralistische und pönalistische Gruppen veruteilten die Prostitution als Verbrechen und die Dirnen als Kriminelle. Neben ihnen gab es reglementaristische Strömungen, die staatliche Bordelle als ein Werkzeug der Beaufsichtigung einer unvermeidlichen Prostitution betrachteten. Die abolitionistischen Kreise hingegen, lehnten jede geregelte Prostitution und Zuhälterei als Ausbeutung ab, und kämpften für eine legale und selbstbestimmte Prostitution.

Der Weg in die Prostitution

In das Gewerbe gerieten oftmals junge Frauen, die auf der Suche nach Arbeit nach Basel kamen. Auf diesem Weg in die Prostitution spielten so genannte "Plaziererinnen" oder "Platzverschafferinnen" eine Schlüsselrolle. Diese gingen auf die ankommenden Frauen zu, und vermittelten ihnen günstige Unterkünfte. Fanden die Frauen keine Stelle und hatten somit kein Einkommen um die Unterkünfte zu bezahlen, gerieten sie bei den Plazierinnen in Schulden.

Diese Schulden konnten Plaziererinnen dazu missbrauchen, die verschuldeten Frauen zur Prostitution zu nötigen. Dieses Schicksal drohte auch unverheirateten Frauen, die ihre Stelle wegen einer ungewollten Schwangerschaft verloren hatten und keine neue Arbeit mehr bekamen. Gegen diese Zustände trat ab 1901 der Basler Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit auf, der selbst günstige Unterkünfte anbot, und ankommende junge Frauen schon am Bahnhof empfing.

Verborgene Formen der Prostitution

Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich die Prostitution wohl durchdachte Wege gesucht, um unter dem Verbot von Bordellen und Kuppelei diskret weiter zu existieren. In Nebenräumlichkeiten von Wirtschaften wurden zum Beispiel Zigarrenläden oder Papeterien unterhalten, in denen die dort tätigen Damen Dienstleistungen anboten, die weit über das Verkaufen von Raucherwaren oder Schreibpapier hinausgingen. Weniger aufwändig war der Gang vors Stadttor.

Aus polizeilichen Verhörunterlagen geht hervor, dass die Prostitution sich um 1860 in Randgebiete verlagert hatte. Oft gingen die Dirnen mit ihren Freiern abends an Plätze vor den Stadttoren. Dort gab es kaum Passanten und der Akt wurde etwa auf Ruhenbänken an Strassen vollzogen. Eine Prostituierte wurde gefragt, ob sie nie mit der Polizei in Konflik gekommen sei. Sie verneinte und gab zu Protokoll, dass viele Landjäger zu ihrer Kundschaft gehörten.

Konkret nannte die Frau Fälle vom Sommer 1859, bei dem Landjäger vor dem St.Alban-Tor und vor dem Riehentor auf Ruhenbänken gratis ihre Dienste beanspruchten. Im Gegenzug liessen die Polizisten dafür eine gewisse Toleranz walten. Eine andere Variante der Prostitution vor den Stadtmauern spielte sich in Droschken ab. Laut der verhörten Prostituierten war der Marktplatz ein Angelpunkt dieser Vorgehensweise, die eher den vermögenden Freiern offen stand.

Die Frauen wurden auf dem Markt in eine Droschke am Standplatz bestellt, wo der Kunde bereits wartete. Dann ging die Fahrt hinaus vor die Stadttore auf stille Wege, wo man ungestört war. Diese Methode bot ein hohes Mass an Diskretion. Die Kutscher profitierten auch von dieser Prostitutionsart, riskierten aber wegen Zuhälterei bestraft zu werden. Das unterdrückte aber existierende Gewerbe verlagerte sich notgedrungenerweise aus der Stadt hinaus.

Verlagerung über die Kantonsgrenzen

Im stadtnahen Binningen konnte der Prostitution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft begegnet werden. Ein Grund dafür war, dass es zur in Basel verbotenen Prostitution im jungen Kanton Basel-Landschaft keine gesetzlichen Einschränkungen gab. Dirnen die aus Basel verjagt wurden, konnten im nahen Binninger Quartier Holee eine neue Bleibe finden. Das Holee war ein Ort der Unterschicht, wo Lokalitäten zu erschwinglichen Preisen zu mieten waren.

Frauen ohne anderen Brotwerwerb verdingten sich dort als Prostituierte. Es war eine Möglichkeit, jenseits der zuweilen unmenschlichen Fabrikarbeit einen Broterwerb auszuüben, ohne in Diebstahl oder Raub abzusinken. Man traf in der Basler Prostitution auch Frauen aus dem Badischen oder dem Elsass, denen die Arbeit als Dirne ein letzter Ausweg aus der Not war. Die rechtlichen Verhältnisse in einer Grauzone verschärften das Los dieser Unglücklichen.

Aus der Stadt, in der "übel beleumdete" und "liederliche" Frauen wie sie kein anderes Auskommen fanden, waren sie verdrängt worden. Damit waren sie darauf angeweisen neue Unterkünfte zu finden. Solche wurden ihnen im Holee geboten. Dort gab es indes auch Leute, welche die Not der Verdrängten ausnutzten. Einem geächteten Gewerbe angehörend, und vielfach ohne rechtlichen Schutz, wurden diese Frauen zuweilen von Vermietern skrupellos ausgebeutet.

Kampf dafür und dawider

Solche Verhältnisse weckten kommerzielle Gelüste. Davon zeugt ein Gesuch eines Basler Geschäftsmannes an die Regierung des Kantons Basel-Landschaft vom 6. September 1890. Er bat darin um die Genehmigung, auf Baselbieter Boden bei Birsfelden oder Binningen ein Bordell unter polizeilicher und ärztlicher Aufsicht einrichten zu dürfen. Er betonte, dass es an Kundschaft aus Basel nicht mangeln, und dass es sich auch für die betreffenden Gemeinden lohnen werde.

Diesem Profitdenken stand die religiös motivierte Lily Zellweger-Steiger (1862-1914) entgegen. Sie sympathisierte mit dem 1892 gegründeten Comité zur Hebung der Sittlichkeit und gründete 1901 den Basler Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit. Sie setzte sich leidenschaftlich dafür ein, zu verhindern dass junge Frauen in die Prostitution abglitten. Sexualität ausserhalb von Ehe und Fortpflanzung war für sie ebenso Sünde wie Verhütungsmittel.

Gewinnstreben des Geschäftmannes gegen kompromisslose Lustfeindlichkeit der christlichen Kämpferin. So wie es Kreise gab, die das Phänomen Prostitution begrüssten und gar förderten um daraus Gewinn zu schlagen, kämpften andere dagegen ohne es verstehen zu wollen. Der Nährboden von Prostitution hatte viele Schichten. Wie Carl Gustav Jung (1875-1961), ein Sohn Kleinhüningens, einst sagte "Denken ist schwer, darum urteilen die Meisten".



Querverweis zum Thema:

>> Prostitution im Basel des 14. bis 16. Jahrhunderts




Beitrag erstellt 27.11.13

Quellen:

Johann Heinrich Bieler, Im Schatten unserer gnädigen Herren - Aufzeichnungen eines Basler Überreiters 1720-1772, herausgegeben von Paul Koelner, Benno Schwabe & Co, Basel, 1930, Seiten 42 bis 43 (zur Bestrafung zweier Frauen 1756) und 187 (zur Bestrafung von Lukas Dickenmanns Frau wegen Kuppelei)

Sara Janner, Abschnitt 5 "Gegen die doppelte Moral: Lily Zellweger-Meyer", in Kapitel 4 "Einblicke in Frauenleben des 19. Jahrhunderts", publiziert in Mögen sie Vereine bilden - Frauen und Frauenvereine in Basel im 19. Jahrhundert, 173. Neujahrsblatt der GGG, Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1994, ISBN 3-7190-1375-8, Seiten 71 und 74 (zur Basler Prostitution im späten 19. Jahrhundert)

Franziska Lauper, "Versteckte Wege der Prostitution", publiziert in Quergängerin 1 - Arbeit, herausgegeben vom Verein Frauen-Stadtrundgang, Basler AZ Verlag, Basel, 1991, ISBN 3-909119-00-X, Seiten 41 bis 45

Johannes Schnell, Urkunde 36 (Anteil der Kuppelmutter am Dirnenlohn), publiziert in Rechtsquellen von Basel, 1. Teil, Bahnmaier's Buchhandlung (C. Detloff), Basel, 1856, Seiten 41

Jeanette Voirol, Abschnitt 6 "Prostitution" in Beitrag "Demokratie und sozialer Umbruch", publiziert in Binningen - die Geschichte, Verlag des Kantons Basel-Landschaft, Liestal, 2004, ISBN 3-85673-278-X, Seiten 219 bis 222 (zur Prostitution im Holee)

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